Interdisziplinärer Dialog: Semiotik und Medizin
Die Semiotik war in der griechischen Antike als Krankheitszeichenlehre (heute: Symptomatologie) eine der ersten medizinischen Disziplinen: Auch heute kann die Semiotik der Medizin als Hilfswissenschaft dienstlich sein.
Im Rahmen auf Jacob von Uexküll zurückgehender Ansätze begreift die Biosemiotik selbst molekularbiologische Prozesse als Zeichenprozesse und die Verwendung von Ausdrücken wie Botenstoff, second messenger und genetischer Kode offenbar als nicht nur metaphorisch – ob mit Recht, sei dahingestellt.
Unstrittig dürfte das Diagnostizieren unter die Zeichenprozesse fallen. Die semiotische Tradition liefert Klassifikationskriterien, nach denen die Einstufung von Krankheitssymptomen als indikativ oder als signifikativ diskutiert werden kann. Signifikationsprozesse erfordern Kodes. Sind Symptomen Krankheiten nach einem Kode zugeordnet? Derartigen Zuordnungen liegen medizinische Theorien zugrunde. Andererseits sollten sie auf Erfahrungen basieren: Symptome werden offenbar auch als Anzeichen für Krankheiten und diese als deren Ursachen verstanden – also, klassische Begriffe von Charles Sanders Peirce aufgreifend, eher als indexikalische denn als symbolische Zeichen? Vor diesem Hintergrund sind psychoanalytische Interpretationen von Symptomen als Symbole umso interessanter. Kommuniziert der Körper oder kommuniziert das Unbewusste? Wenn ja, mit wem?
Eine Hauptaufgabe des Einsatzes semiotischer Methoden in der Medizin dürfte in der Analyse von Interaktionen liegen: von Interaktionen zwischen Therapeut und Patient einerseits und zwischen Angehörigen des Fachpersonals zum Beispiel in Aufnahmesituationen und im OP andererseits. Vor allem verspricht die Semiotik eine Begriffsklärung, die einer Systematisierung von Experimentaldesigns zugute kommt.
Nach dem Vorbild der Tagung „Semiotik und Sozialpsychiatrie“ in der Akademie Loccum 2003 sollen interdisziplinäre Dialoge in Expertengesprächen und auf Tagungen für den Studentenunterricht aufgezeichnet werden. Mit dem interdisziplinären Dialog soll auf ein größeres Verständnis in der Medizin von Zeichen und Zeichenprozessen hingewirkt werden.