Misslingende Kommunikation
Im Feld der Psychiatrie, der Sozialpsychiatrie und der Psychotherapie entscheidet der Erfolg therapeutischer Handlungen über den weiteren Lebensweg eines Menschen. Ein Großteil dieser Handlungen sind Interaktionen zwischen Mitarbeiter/innen und Patient/innen. Beispielsweise unter dem Aspekt, zur Deeskalation beizutragen, sind Interaktionen bislang kaum systematisch untersucht worden. Es bestehen zwar Ansätze für die Analyse von Gesprächen mit einem gewissen Ratgebercharakter, die allerdings nicht auf offen gelegten, ausdrücklichen Kriterien der Analyse basieren. Wann geht es dabei überhaupt um Kommunikation? Können Menschen – wie Paul Watzlawick annimmt – wirklich nicht nicht-kommunizieren? Ist also jede menschliche Begegnung schon Kommunikation? Wie grenzt sich Kommunikation von anderen Interaktionsformen ab? Und welche Rolle spielen diesbezügliche Unterscheidungen für die psychiatrische bzw. psychotherapeutische Behandlung?
Die Semiotik greift sprechakttheoretische (Austin, Searle) und pragmatische (Grice, Meggle, Posner) Begriffe auf, um interaktive, kommunikative und kooperative Sozialphänomene auf eine Basis intentionaler Grundbegriffe zu stellen. Ein Großteil interaktiven Verhaltens ist Zeichensenden oder Zeichenempfangen. Zeichensenden ist häufig realisiert in Form von Signifikanten, d. h. in einer Kultur als bedeutungstragend bekannter verbaler oder nonverbaler Gestalten von Zeichenträgern. Diese Signifikanten können sprachlicher Art sein. Eine größere Rolle spielen jedoch mimische oder gestische Signifikanten. Dadurch rückt die Erforschung redebegleitender und emblematischer Gesten in den Mittelpunkt des Interesses. Signifikanten kommen innerhalb kommunikativer Interaktionen zum Einsatz. Denn sie dienen dazu, Absichten des Senders anzuzeigen, um auf diese Weise das jeweilige Interaktionsziel zu erreichen – eine wichtige Voraussetzung für Kommunikation im eigentlichen Sinne, wie die Explikation von to mean im Anschluss an H. P. Grice gezeigt hat. Zeichensenden ist jedoch auch häufig nicht-kommunikativer Art. Es gibt gute Gründe dafür, einen Großteil sogar psychotherapeutischen Handelns als nicht-kommunikatives Handeln zu begreifen sogar dann, wenn es verbaler oder gestischer Art ist. Welchen Vorteil bzw. Nachteil Kommunikation im Vergleich zu nicht-kommunikativer Interaktion hat, bleibt zu klären.
Der Schwerpunkt „misslingende Kommunikation“ soll zeigen, wie die psychologische, psychotherapeutische und psychiatrische Therapieforschung von semiotischer Begriffsklärung profitieren kann.